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Abschlussbedingungen

Industriepolitische Analyse

Im Rahmen der „Analyse Industriepolitik“ (h2well Markthochlauf/ FSU Jena) wurde grundlegend nach industriepolitischen Positionen relevanter Akteure gefragt, um Strategien und potenzielle Entwicklungspfade einer (grünen) Wasserstoffwirtschaft zu identifizieren. Aufgrund der Dynamik im Feld wurde ein exploratives Forschungsvorgehen gewählt, das es ermöglicht gesellschaftliche Veränderungen zu berücksichtigen. Neben der Sichtung politischer Strategiepapiere wurden wissenschaftliche Expert:innen, ausgewählte Branchenvertreter:innen aus Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Netzwerken/Think-Tanks interviewt (n=11). Die Interviews wurden protokolliert, transkribiert und angelehnt an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) mithilfe von MAXQDA ausgewertet. In den Interviews ergaben sich im Wesentlichen drei kontroverse Diskussionslinien über zur Einschätzung der Entwicklung und der nötigen politisch-strategischen Ausrichtung für den Markthochlauf einer Wasserstoffwirtschaft, die im Folgenden dargestellt werden.

(1) Wie soll der Wasserstoff erzeugt werden?

Verschiedenen Herstellungsverfahren für Wasserstoff werden von den Expert:innen unterschiedlich bewertet. Unumstritten ist das Ziel Wasserstoff langfristig „grün“ mit erneuerbaren Energien herzustellen, während fossil erzeugter, „grauer“ Wasserstoff durch seine CO2-Emissionen abgelehnt wird. Auch „roten“ Wasserstoff, beurteilen die Interviewpartner:innen kritisch, da er mit der „Risikotechnologie“ Atomenergie hergestellt wird.

Auf der einen Seite finden sich Positionen vor allem wissenschaftlicher Expert:innen, die eine Beschränkung auf ausschließlich grünen Wasserstoff fordern, weil bei anderen Verfahren beachtliche Vorkettenemissionen entstehen und durch den Aufbau der entsprechenden Infrastruktur Lock-in-Effekte befürchtet werden. Von den Branchenvertreter:innen wird auf der anderen Seite die Notwendigkeit gesehen Übergangstechnologien für die Produktion von blauem und türkisem Wasserstoff zu nutzen. Um den hohen Wasserstoffbedarf zu decken und ambitionierte Transformationsprojekte nicht zu gefährden, die bereits mit dem Umbau beginnen müssen, so die Begründung, wird auch nahezu „klimaneutraler“ Wasserstoff gebraucht.

(2) Wo soll der Wasserstoff herkommen?

Die Interviewten sind sich einig, dass die heimische Elektrolysekapazität für eine gewisse Eigenversorgung aufgebaut und Elektrolyse als Zukunftstechnologie in Deutschland entwickelt und industriell gefertigt werden sollte. Einhellig wird ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien gefordert, von dem die Elektrolysekapazität, wie auch die Defossilisierung des Energiesystems insgesamt, direkt abhängen. Eine Bedarfsdeckung mit heimisch produziertem grünem Wasserstoff ist aber nicht absehbar; zumal der Ausbau der Erneuerbaren Energien seit Jahren zu schleppend vorangeht.

Einige Branchenvertreter:innen bemängeln Jahrzehnte fehlgeleiteter Wirtschaftspolitik, die den Strombedarf und den Ausbau regenerativer Energien völlig unterschätzte und damit auch den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien hemmt. Die Erhöhung der anvisierten Elektrolyseleistung bis 2030 von 5 auf 10 GW in der nationalen Wasserstoffstrategie werden begrüßt. Die Erreichung der Ziele bis 2030 wird jedoch aufgrund langwieriger Genehmigungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfung und dem nötigen Infrastrukturaufbau bezweifelt. Insgesamt machen die Befragten deutlich, dass kein Zielsetzungs-, sondern ein Umsetzungsproblem existiert.

Gleichzeitig wird ein „Henne-Ei-Problem“ attestiert: Es fehlen die Anreize für Investitionen in Wasserstoffanwendungen, weil es bisher keine Wasserstoffversorgung gibt und vice versa. Grundsätzlich muss ein „Matching“ von entstehenden Bedarfen mit einem Versorgungs- und Infrastrukturplan für Wasserstoff erfolgen. Bisher mangelt es an einem strategischen Vorgehen, um insbesondere für industrielle Abnehmer mit hohem Wasserstoffbedarf eine Versorgung sicherzustellen. Die Industrieunternehmen benötigen Planungssicherheit für die hohen Investitionen, die bereits jetzt getätigt werden müssen (z.B. Stahlindustrie). Regionale Pilot-Projekte werden diesen Bedarf nicht decken können; zumal grüner Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien noch nicht wirtschaftlich herstellbar ist.

(3) Wofür soll der Wasserstoff verwendet werden?

Mittlerweile besteht, das bestätigten die befragten Expert:innen, in der Wissenschaft weitestgehend Konsens, dass Wasserstoff prioritär in den Bereichen verwendet werden sollte, die sich nicht oder nur äußerst schwer mit erneuerbarem Strom elektrifizieren lassen, da die direkte Verwendung erneuerbarer Energien deutlich effizienter ist. Zu diesen sogenannten „No-regret“ Anwendungen werden vor allem bestimmte Industrieverfahren, der Schiff- und Luftverkehr und die Speicher- und Flexiblitätsfunktion von Wasserstoff für ein auf volatilen erneuerbaren Energien beruhendes Stromsystem gezählt. Die Stahlindustrie spielt dabei in den meisten Interviews – sowohl bei den wissenschaftlichen Expert:innen als auch bei den Branchenvertreter:innen – eine besondere Rolle, da hier mit Wasserstoff der stärkste „Hebeleffekt“ zur Reduktion von CO2-Emissionen erzielt werden kann (ausführlicher im nächsten Unterkapitel).

Die Befragten sind sich sicher, dass die Wasserstoff-Brennstoffzelle oder wasserstoffbasierte E-Fuels im motorisierten Individualverkehr nur ein Nischendasein einnehmen werden. Zwar ist die Brennstoffzellentechnologie vorhanden und es engagieren sich auch Fahrzeughersteller oder Zulieferer (u.a. BMW, Bosch, Continental) in diesem Bereich, aber insgesamt stellt die Autoindustrie im PKW-Segment auf batterieelektrische Antriebe um. Diese gelten den Befragten nach dem aktuellen Technologiestand als einziger Weg, um die Klimaziele zu erreichen und werden im Vergleich zur Brennstoffzelle als wettbewerbsfähiger, technologisch ausgereifter und effizienter bewertet; gleichwohl wird aber der ökologische Fußabdruck und hohe Ressourcenbedarf der Batteriezellentechnologie problematisiert.

Abseits des PKW gehen die Interviewpartner:innen davon aus, dass die Entwicklung von Antrieben bzw. Kraftstoffen auf Wasserstoffbasis in den Verkehrsbereichen ÖPNV/Bus, Sonderfahrzeuge, Schwerlast-, Zug- und Luftverkehr eine wichtige Rolle spielen wird. Am Beispiel des Einsatzes von Wasserstoffbussen in Konkurrenz zu batterieelektrischen Antrieben wird insbesondere der Vorteil der H2-Busse bei langen Umläufen, steiler Topografie oder große Last genannt. Letztendlich hängt es auch davon ab, für welche Technologien sich u.a. Kommunen entscheiden, welche Infrastrukturen und Fahrzeugmodelle verfügbar und finanzierbar sind.

Zuletzt geändert: Freitag, 5. September 2025, 10:18